Geschichte der Miniaturportraits


Gotische Initiale P, flämisch 1407
Im Mittelalter wurden alte Handschriften auf Pergament mit farbigen, oft mit Blattgold verzierten Inkunabeln geschmückt. Manchmal waren es die Anfangsbuchstaben des Textes, wie das „P“ bei Petrus, oft auch ganze Seiten. Diese Künstler kamen hauptsächlich aus den Klöstern. Bald schon hatte sich diese Kunst vor allem in Flandern ausgebreitet. Der aus einer Künstlerfamilie stammende Gerard Horenbout, malte vor- wiegend Stundenbücher aus. Dann entdeckte er diese Malerei auch für Porträts im Miniaturformat. Er und seine Kinder – Lucas und Susannah – gingen um 1525 nach England und brachten diese Kunstform mit. Sie arbeiteten am Hofe Heinrich VIII.
In dieser Zeit war Hans Holbein der Jüngere Hofmaler Heinrich VIII und malte dort große Ölgemälde. Von Horenbouts lernte er die Technik der Miniaturmalerei auf Pergament. So malte er z. B. im Auftrag von Heinrich VIII ein großes Ölgemälde und eine Miniatur auf Pergament in den Jahren 1538/39 von Anna von Cleve, der vierten Ehefrau Heinrichs.

Lucas Horenbout: Heinrich VIII
(Royal Collection Windsor)
Hans Holbein: Anna von Cleve
Victoria & Albert Museum London
Durch Heinrichs Tochter, Elizabeth I kam die Porträtmalerei in Miniatur am englischen Hof in Mode. Elizabeth hatte einen sehr bekannten Hofmaler – Nicholas Hilliard (1547 – 1619). Eigentlich ein Goldschmied arbeitete er bald nur noch als Maler. Er war ein Meister der Wiedergabe von Spitzen und Juwelen, dafür entwickelte er eine besondere Technik. Seine Gesichter wirken sehr flach und schematisch. Der Hintergrund seiner Bilder ist meist ein strahlendes Blau oder später ein Vorhang.


Nicholas Hilliard: Elizabeth I
Privatsammlung
Hilliards Nachfolger am Hofe wurde John Hoskins (1590 – 1665), der wiederum seinen Neffen Samuel Cooper ausbildete. Sie und Maler wie Isaac Oliver und dessen Sohn Peter änderten Hilliards Stil. Die Gesichter wurden realistischer und individueller. Weitere bedeutende Maler des 17. Jahrhunderts, die auf Pergament arbeiteten, waren u.a. Thomas Flatman, Nicholas Dixon, Peter Crosse und Franciszek Smiadecki.


Nicholas Hilliard: unbekannter Herr
Victoria & Albert Museum London

Beispiele aus der Sammlung:
John Hoskins Samuel Cooper Peter Crosse Nicholas Dixon
Miniaturmaler hatten eine offizielle Stellung am Hofe, und ihre Werke reflektierten die Interessen, den Geschmack und den Charakter der jeweiligen Herrscher. Miniaturen wurden nicht nur aus persönlichen, sondern auch aus politischen Beweggründen bestellt: Herrscher verschenkten ihr Porträt im Kleinstformat, um dem Empfänger ihre Gewogenheit auszudrücken oder um damit ihre Macht zu demonstrieren. Da Regenten den Miniaturmalern in der Regel nicht Modell saßen, stützten sich diese auf Vorlagen anderer Künstler. Sie malten zuerst eine Musterminiatur und später die gewünschte Anzahl an Kopien. Im Lauf der Zeit mussten Repliken den Wünschen des Auftraggebers angepasst werden. Manchmal sollte die Kleidung ausgetauscht werden, manchmal die Accessoires oder der Hintergrund. Bisweilen wurde das Antlitz auch etwas verjüngt oder – je nach Wunsch – gealtert. Die Ähnlichkeit mit dem Herrscher war dabei oft zweitrangig. Wichtiger war, dass er darauf wiedererkannt wurde und das Bildnis die gewünschte Aura besaß. Zu den „politischen“ Porträts kann man auch Verlobungsminiaturen zählen. War ein Herrscher auf Brautschau, die ausgewählte Dame wohnte aber weit entfernt, waren Miniaturen oft die einzige Möglichkeit, sich von deren Aussehen vor der Vermählung ein Bild zu machen.

Die Tudors, die von 1485 bis 1603 in England regierten, waren die ersten Sammler von Porträtminiaturen. Heinrich VIII besaß Werke von Lucas Horenbolte (Horenbout) und Hans Holbein dem Jüngeren. Charles I hatte ungefähr 80 Miniaturen in seiner Privatgalerie im Whitehall Palace in London.
Öl

In südeuropäischen Ländern, aber auch in Deutschland, Frankreich und Flandern kamen im 16. und 17. Jahrhundert kleinformatige Porträts in Öl in Mode. Maltechnisch unterscheiden sie sich grundsätzlich nicht von großformatigen Ölgemälden. Deshalb werden sie von manchen Experten nicht als Porträtminiaturen anerkannt. Den meist unbekannten Malern gelang es, trotz des kleinen Formats die Persönlichkeit der Dargestellten herauszuarbeiten. Ihre Blütezeit hatten Miniaturen in Öl im 16. Jahrhundert. Der Malgrund war meist Kupfer, in wenigen Fällen Holz, Silber oder sehr selten Gold. Die wenigsten dieser Werke sind signiert.




Cornelius Johnson,
Öl auf Kupfer ca. 1630

Emaille

Das Prinzip der Emailletechnik ist schon seit über 3000 Jahren bekannt. Cornelius Johnson, Öl auf Kupfer ca. 1630 Im Mittelalter wurde Emaille im Rahmen der Goldschmiedekunst eingesetzt. Eine erste Blüte erlebte die Emaille- kunst um das Jahr 1000 (Zellenschmelz, Cloisonné).

Eine für die frühe Neuzeit typische Art der Emaillebearbeitung entstand im 16. Jahrhundert in Limoges (Frankreich). Die Farbflächen sind hier nicht mehr durch Stege oder Metallpartien getrennt, sondern ineinander übergehende, mit dem Pinsel aufgebrachte Farben ermöglichen miniaturhaft feine, bildliche Darstellungen. Das Verfahren der Emailleminiatur, das um 1630 in Frankreich entwickelt wurde, verbesserten hugenottische Flüchtlinge in Genf. Die ersten Miniaturmaler waren ursprünglich Goldschmiede und Uhrmacher. Mit Jean Petitot (1607-91) erreichte die Malerei von Miniaturporträts in Emaille einen ersten Höhepunkt.


Christian Friedrich Zincke
Die Porträtmalerei in Emaille hatte ihre Blütezeit im 18. Jahrhundert, besonders in England, wo die Künstler aus vielen Ländern Europas eine kaufkräftige Kundschaft fanden. Die berühmtesten Maler dieser Technik waren u. a. Charles Boit, Christian Friedrich Zincke, Jean André Rouquet, Johann Heinrich Hurter und Henry Bone. Die leuchtenden Farben und die spiegelglatte Oberfläche besitzen einen einzigartigen Reiz. Darüber hinaus sind Emailleminiaturen wesentlich beständiger als in Wasserfarben gemalte Werke. Sie reagieren kaum auf Klimaschwankungen und sind ausgesprochen lichtbeständig. Leider haben Emaillemalereien auch einen Nachteil: Sie sind sehr stoßempfindlich.

Beispiele aus der Sammlung:
Jean Petitot Samuel Cooper Jean André Rouquet Henry Bone
Elfenbein

Der venezianischen Pastell- und Miniaturmalerin Rosalba Carriera kommt in der Miniaturmalerei eine besondere Stellung zu: Sie gilt als die Erste, die im frühen 18. Jahrhundert Miniaturen auf dünne Elfen- beinplättchen malte. Diese technische Neuheit war so überzeugend, dass im Verlauf der kommenden Jahrzehnte der bis dahin gebräuchliche Malgrund Pergament beinahe gänzlich verdrängt wurde. Der Künstlerin fielen die Qualitäten des Materials auf, als sie elfenbeinerne Tabakdosen mit Malereien verzierte. Sie bemalte diese mit allegorischen Figuren und galanten Szenen, üblicherweise auf die Deckelinnenseite, und schützte die Malerei mit einem Deckglas. Dabei arbeitete sie in der traditionellen Wasserfarbentechnik. Da die Optik von Elfenbein der von menschlicher Haut ähnlich sieht, gestaltete Rosalba die Hautpartien der Figuren mit transparenten Farblagen. Zu Beginn hatten die Elfenbeinplatten eine Dicke von bis zu 5 mm, zu den Rändern hin war das Material stark abgeflacht, damit die Miniatur besser gerahmt werden konnte. Wenig später benutzte Bernhard Lens als Erster in England Elfenbein. Auch seine frühen Bilder waren noch auf dicken Elfenbeinplatten gemalt. Schnell lernte man, dünne Plättchen – 0,5 mm und dünner – zu sägen. Elfenbein wurde von nun an in ganz Europa der bevorzugte Bildträger.




Rosalba Carriera







Bernhard Lens
Ab den 1750er Jahren wurde überwiegend auf Elfenbein gemalt. Um die Jahrhundertwende erreichte diese Malweise in England mit John Smart und Richard Cosway einen künstlerischen Höhepunkt. Weitere bedeutende englische Miniaturmaler waren George Engleheart, Jeremiah Meyer, Samuel Shelley, die Brüder Andrew und Nathaniel Plimer und William Wood. Herausragende Maler in Frankreich waren u.a. Jean-Baptiste Jacques Augustin, Jean-Baptiste Isabey, Jean Antoine Laurent, Louis Francois Aubry und Francois Meuret. In Österreich und Deutschland ragen Heinrich Friedrich Füger, Richard Schwager und Moritz Michael Daffinger hervor.

John Smart Samuel Shelley George Engleheart Richard Cosway

Jean-B. J. Augustin Louis F. Aubry Heinrich F. Füger Moritz M. Daffinger

Raffinierte Maltechniken

Kleinformatige Porträts wurden in zahlreichen weiteren Techniken hergestellt. Einige wurden nicht mit dem Pinsel gemalt, sondern mit Feder und Tusche gezeichnet. Die in schwarzen Schraffurlagen gestalteten Bildnisse imitieren Kupferstiche und waren in den Jahrzehnten um 1700 in England beliebt. Man staunt über die Regelmäßigkeit und Exaktheit der parallelen Linien, mit denen John Faber 1698 das Bildnis von John Boyd gestaltete. Als Malgrund diente in der Regel weiß grundiertes Papier oder Pergament. Die Silhouettenminiatur kam im späten 18. Jahrhundert in Mode. Sie gibt die Büste des Modells im Profil wieder und wurde meistens in schwarzer Tusche auf Papier oder Elfenbein gemalt. In den Bereich der Silhouette gehört auch die Églomisé-Miniatur. Hier wurde auf die Rückseite einer Glasplatte gemalt, oft unter Einbezug von Blattgoldauflagen. Auch die Malerei en grisaille ähnelt der Silhouetten-Malerei. AlsGrisaille(französisch fürEintönigkeit, abgeleitet von französisch gris ‚grau‘) bezeichnet man eine Malerei, die ausschließlich in Grau, Weiß und Schwarz ausgeführt ist. Sie beruht auf reiner Schattenwirkung.
Beispiele aus der Sammlung:
John Faber John Miers Unbekannter Künstler Samuel Andrews
Das "Ende" der Porträtminiatur

Im Laufe des zweiten Drittels des 19. Jahrhunderts übernahm nach und nach die Fotografie die frühere Rolle der Bildnisminiatur. Sie war billiger und realistischer, erforderte kürzere Sitzungszeiten, und es konnten – bei zunehmender Perfektionierung der Technik – beliebig viele Exemplare nachbestellt werden.
Nachdem der Maler und Erfinder Louis Daguerre (1787– 1851) 1839 die Methode der Daguerreotypie vorgestellt hatte, nahm der Sieg der Fotografie über die gemalte Miniatur ihren Lauf. Bei der Technik wurde die fotografische Aufnahme auf einer versilberten Kupferplatte gemacht. Es entstand ein monochromes Bild, bei dem die glatt polierten Bereiche die Schatten wiedergaben. Die Aufnahmen ließen an Schärfe nichts zu wünschen übrig und waren in erster Linie für Porträtaufnahmen beliebt.


Daguerreotypie um 1850
Bei Daguerreotypien handelte es sich um Unikate. Ihre realistische, eben fotografische Wiedergabe des Modells und der vergleichsweise günstige Preis waren unverkennbare Vorteile gegenüber der Miniatur. Die Dargestellten erscheinen darauf zwar durchaus realistisch, durch ihre Steife und den emotionslosen Gesichtsausdruck aber gleichzeitig kalt und unbelebt. Das Auge und das Können eines Malers vermochten dem Modell unvergleichlich viel mehr Leben und Seele einzuhauchen.



Seng Yuen, Hongkong
übermalte Fotografie,
ca. 1890
Miniaturmaler bekamen die Verbreitung der Daguerreotypie ab den 1840er Jahren deutlich zu spüren. Sie verloren zunehmend ihre Kundschaft und mussten auf andere Tätigkeitsbereiche umsatteln. Manche setzten fotografische Aufnahmen aber auch gezielt beim Malen von Miniaturporträts ein. Cécile Villeneuve beispielsweise vermerkte auf mehreren Werken, dass diese auf der Grundlage von Daguerreotypien gemalt wurden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglichten technische Innovationen den fotografischen Abzug auf unterschiedlichen Trägern. Von der klassischen Miniaturmalerei inspiriert, wurden nun Versuche auf Email, Porzellan und sogar auf Elfenbeinblättern gemacht. Die Resultate sind verblüffend. Auf Elfenbein entstand ein schwaches monochromes Bild, das der Künstler nur noch zu kolorieren brauchte, um die Wirkung einer traditionellen Miniatur zu erzielen.
Auch im gesamten 20. Jahrhundert finden wir noch eine Reihe von Künstlern, die Miniaturporträts in hoher Qualität gemalt haben. Selbst im 21. Jahrhundert gibt es noch Miniaturmaler, die nach einer Fotovorlage auf Elfenbeinersatz oder in Emaille-Technik ansprechende Porträts anfertigen.
  Alyn Williams, 1902 Marguerite Delaroche 1921